Im August 2021 beginnt für Pfarrer Kai Mauritz und damit auch für seine Frau Almut ein neuer Lebensabschnitt. Er wird als Pfarrer in der Gemeinde aufhören und eine neue Beauftragung in der Lippischen Landeskirche annehmen.
Rüdiger Grob (RG) fragt im Auftrag der Öffentlichkeitsarbeit und Brücke der Gemeinde St. Pauli Kai Mauritz (KM) und Almut Mauritz (AM) einige sehr persönliche Fragen zum Abschied.
RG: Kai, was ändert sich ab August für Dich?
KM: Ich habe ja derzeit eine halbe Stelle in der St.-Pauli-Gemeinde und eine halbe Stelle beim Weißen Kreuz. Zum 1. August werde ich diesen 50%-Anteil in St. Pauli aufgeben, weil ich im Landeskirchenamt eine Präventionsstelle gegen sexualisierte Gewalt antrete.
Dort werde ich dann mit einigen Kolleginnen Gemeinden schulen und Schutzkonzepte erarbeiten: Wie können Kinder und Jugendliche sicher sein in unseren lippischen Gemeinden?
RG: Präventionsarbeit gegen sexualisierte Gewalt – warum eine solche Stelle?
KM: Ja, leider ist es auch in Kirchen und Gemeinden zu sexualisierter Gewalt gekommen und es gibt seit Januar ein Kirchengesetz der EKD, das alle Gemeinden verpflichtet, Schutzkonzepte vorzuhalten.
Die Schulung und Begleitung der Gemeinden setzt eine Weiterbildung voraus. Diese habe ich im Rahmen meiner Arbeit beim Weißen Kreuz 2019 bereits absolviert – da passte das dann ganz gut.
RG: Almut, die gleiche Frage: Was ändert sich denn für Dich?
AM: Ich denke, das Meiste, was sich für mich ändert, ist das Innere: Wir sind dann nicht mehr das Pastorenehepaar, sondern einfach „Kai und Almut aus der Pauli-Gemeinde“. Wir lassen die Leitungsverantwortung los. Das ist sicher ungewohnt für uns.
Dennoch werde ich weiterhin ehrenamtlich tätig sein. Aktuell werde ich die Moderation von Gottesdiensten nicht aufgeben, nur weil Kai seine Pfarrstelle abgibt.
Vor allen Dingen im Miteinander wird es anders sein: Ich werde sonntags im Gottesdienst – ob zu Hause oder in der Kirchbank – neben Kai sitzen können! Feiertage wie Weihnachten und Ostern werden wir deutlich ruhiger erleben.
KM: An dieser Stelle eine kleine Anekdote: Beim Bewerbungsgespräch in St. Pauli hat mich ein längst verstorbener Kirchenältester gefragt, ob ich denn so eine richtige „Pfarrfrau“ mitbringen würde oder nur den Anrufbeantworter, weil die Frau arbeitet… Ehrlich gesagt, habe ich beides mitgebracht!
Natürlich hat sich das Bild der „Pfarrfrau“ in den vergangenen Jahrzehnten tatsächlich verändert – und trotzdem ist etwas geblieben: Dieses „sich-mitverantwortlich-fühlen“, es ist unsere Gemeinde, es ist unsere Arbeit, das war eigentlich immer da. Das wird sich, denke ich, verändern: dieses Gefühl von Verantwortung.
RG: Stellt sich bei euch ein Gefühl der Erleichterung ein oder ein bisschen Spannung und vielleicht auch Bedenken?
KM: Es ist wie ein guter Lippischer Eintopf: von allem ist was drin! Wenn man Verantwortung loslassen kann – nach langer Zeit und ich das Gefühl habe, die Zeit ist reif, dann ist es auch wirklich gut und ein Stück Erleichterung.
Ich persönlich habe aber auch einen riesigen Pool an Dankbarkeit in meinem Herzen: Ich habe so viel gelernt, so viele tolle Begegnungen gehabt! Ich konnte mich ausprobieren – das ist ein riesiges Geschenk! Pauli ist aus meiner Perspektive die beste Gemeinde in Lippe! Und es war sehr schön, hier mitarbeiten zu dürfen.
RG: Stichwort Gemeinde: Was ändert sich jetzt für die Gemeinde St. Pauli?
KM: Wir hoffen sehr, eine neue Person zu finden, die sich hier als Pfarrer oder Pfarrerin bewirbt. Und wir planen zunächst einmal eine Dreiviertel-Stelle auszuschreiben – mit der Perspektive, das daraus eine ganze Stelle wird, wenn Pfarrer Helge Seekamp in drei Jahren in den Ruhestand geht.
RG: Du hast ja noch weitere Aufgaben: Werkstatt Leben – wie sieht das damit aus?
KM: Gut die Hälfte meiner Arbeitszeit habe ich im Bereich Gemeinde gearbeitet und den Rest bei Werkstatt Leben. Nach meinem Weggang wird meine Stelle von 50% auf nur noch 25% gekürzt. Die verbleibenden 25% werden für die reguläre Gemeindearbeit dringend benötigt. D.h. mein Personalanteil, den ich in Werkstatt Leben geleistet habe, bleibt offen.
Nun arbeiten Sabine Rosemeier und ich zusammen mit der Gemeindeleitung auf Hochtouren an einem Konzept, wie die nötigen Personalstunden finanziert werden können, damit die Arbeit weitergehen kann. Denn die Arbeit ist wirklich gut angelaufen und spricht doch recht viele an, die sonst gar nicht die Angebote unserer Gemeinde nutzen.
Das gilt natürlich für den Gemeindebereich auch. Hier werden ebenso Konzepte erarbeitet und das wird auch über den August 2021 hinausgehen, bis wirklich klar ist, wer was in welchem Umfang machen wird.
RG: Erleichtert die Corona-Situation euren Prozess des Abschiednehmens?
AM: Vielleicht ein wenig. Seit mehr als einem Jahr sehenwir so viele aus der Gemeinde nicht mehr live. Wir mussten alle auf das gewohnte Miteinander verzichten. Diese Zeit war ein bisschen wie ein vorgezogener Abschied.
Als wir 1997 nach St. Pauli gekommen sind, lag hinter Kai eine Phase des Fragens und Suchens, wie es für ihn beruflich weitergehen wird. Die Wahl zum Pfarrer von St. Pauli haben wir als Gottes Führung erlebt; als Antwort auf die vielen Fragen, die uns monatelang beschäftigt haben. Wir waren dankbar: Gott hatte die ganze Zeit den Überblick! Und das hat mich die ganze Zeit fasziniert.
Ich würde sagen, der Weggang von Pauli ist auch so ein geführter Prozess: Die Erfahrungen, die Kai beim Weißen Kreuz gesammelt hat und auch die
bereits vor zwei Jahren gemachte Weiterbildung sind genau die Voraussetzungen, die die Lippische Landeskirche für die Präventionsarbeit benötigt. Gott hat den Überblick. Nichts geschieht einfach zufällig.
RG: Gibt es für Euch beide etwas Hoffnungsvolles, etwas, worauf Ihr Euch beide freut?
KM: Klar, also wir hoffen schon auch auf ein bisschen mehr Luft zum Atmen, weil die Stellenteilung in der Kombination „Gemeinde und Außendiensttätigkeit beim Weißen Kreuz“ schon eine große zeitliche wie kraftaufwändige Herausforderung war.
Als Pastoralteam arbeiten Cora Salzmann, Helge Seekamp, Werner Schmidt und ich seit 21 Jahren zusammen. Wir haben einiges gemeinsam bewegt und sind so manche Meile miteinander gegangen. Mein Weggehen bedeutet nun, dass das System sich noch einmal neu finden muss. Das beinhaltet viele Möglichkeiten, u.a. dass ein künftiger Pfarrer bzw. eine künftige Pfarrerin eigene Begabungen und Stärken mitbringt, die der Gemeinde guttun.
Da würde ich sagen, das ist auch etwas Hoffnungsvolles!
Und ich hoffe auch, in meiner neuen Stelle bei der Lippischen Landeskirche etwas bewegen zu können. Durch die Schulungen werde ich viele Gemeinden besuchen und kennenlernen. Mein Radius wird also etwas größer. Das finde ich auch spannend.
RG: Du wirst dann demnächst in Lippe unterwegs sein und sonntags dann mit Almut in der Kirche sitzen?
KM: … oder vorm Laptop! (lacht)
AM: Also Kai sagte jetzt, er hofft auf mehr Luft zum Atmen. Dass das so eine besondere Herausforderung war die letzten Jahren mit den beiden Stellen, daran würde ich gerne noch einmal anknüpfen und sagen: Kai hat sich mit ganzem Herzen in St. Pauli eingebracht. Und wenn er etwas mit ganzem Herzen macht, dann macht er das auch ganz – und ich ja letztendlich auch!
Manches Mal haben wir uns schon rückblickend gefragt, wie dir das alles geschafft haben: die Gemeindearbeit, mein Beruf als Lehrerin und das Familienleben mit drei Kindern. Wir sind immer mal wieder an unsere Grenzen gestoßen.
UND wir sind gleichzeitig sehr dankbar für diese Zeit in Pauli! Z.B. haben wir ja viele Jahre lang Freizeiten geleitet. Dort haben wir so viele Menschen kennengelernt, Gespräche geführt, häufig zusammen gelacht und manchmal auch geweint. Wir haben in den Freizeiten miteinander das Leben geteilt und uns miteinander verbunden gefühlt. Dieses Gefühl von Verbundenheit blieb auch weit über die Freizeiten hinaus bestehen.
RG: Das stimmt!
KM: Wir haben auch ganz viel zurückbekommen. Es gibt sicher wenige Gemeinden, die dem Pfarrer und seiner Familie so viel Wertschätzung entgegenbringen.
Es ist so cool zu hören, dass wir durch die Kleinigkeiten, die wir getan haben, Fußspuren im Leben anderer hinterlassen haben. Das empfinden wir als ein Geschenk.
AM: Auch dieses Spektrum an Menschen, denen wir begegnet sind: verschiedene Generationen, Lebens- und Frömmigkeitsstile! Diese Vielfalt macht Pauli ja aus und ist nicht selbstverständlich. Das war unglaublich wertvoll für mich!
RG: Was waren denn die Highlights?
KM: Ganz ehrlich: Meine Senioren, die gehören zu meinen Highlights, auf jeden Fall!
Unzählig viele Besuche, mein Frauenkreis, der so treu ist und die vielen Freizeiten mit Senioren. Aber auch die Gemeindefreizeiten! Was haben wir für wilde Geschichten erlebt: Verschimmelte Bäder in dänischen Efterskolen und was weiß ich … also, das war wirklich sehr schön!
Und ich muss natürlich sagen, dass ich auch wirklich ganz tolle Kollegen habe. Wir gehen auf Augenhöhe miteinander um, obwohl wir sehr verschieden sind und es auch Reibungspunkte gibt. Wir schätzen uns wirklich gegenseitig, ohne immer einer Meinung gewesen zu sein. Das erlebt nicht jeder Pfarrer so.
Und Highlight ist für mich auch die Zusammenarbeit mit den unglaublich tollen Ehrenamtlichen – es gibt wirklich so viele begabte Menschen, die mit Herzblut dabei sind. Das ist so schön!
AM: Das Besondere an Pauli ist für mich immer gewesen, dassBerufliches und Privates miteinander verbunden sind. Wir konnten auch mit unseren persönlichen Anliegen da sein. Wir haben nicht nur anderen zugehört und z.B. mit ihnen gebetet. Dasselbe haben wir auch erlebt. Wir wurden als Personen wahrgenommen und nicht nur in unserer Rolle als Pfarrfamilie.
KM: Die Gemeinschaft der himmelisch Unperfekten …
RG: Und eine besondere Anekdote?
KM: Ein schöner Einstieg war, als wir das erste Mal als Paar in der Gemeinde aufgeschlagen sind (ich glaub das war so ein Gemeindetag) bevor ich offiziell meinen Dienst angetreten habe. Da kam die damalige Leiterin des Frauenkreises, Sonja Laufer, auf Almut zu und sagte: „Eins musst du Dir merken: Dein Mann hat jetzt viele Frauen!“ Und so ist es auch gekommen!
RG: Vielen Dank für dieses ausführliche und ehrliche Gespräch! Wir wünschen Euch Gottes Segen für Eure Zukunft!